Die Stärkung des Verbraucherschutzes ist eines der Themen, die sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag auf die Fahne geschrieben hat. Mehrere diesbezügliche Vorhaben hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz bereits umgesetzt, andere sind auf dem Weg. Darunter die Verkürzung von Vertragslaufzeiten – zum Beispiel für Telefonverträge. Bisher wurden die Vertragslaufzeiten in § 309 Nr. 9 BGB geregelt. Allerdings konnten über die Unternehmens-AGB längere Laufzeiten und Kündigungsfristen erreicht werden. Künftig soll dieses Schlupfloch wegfallen: Auch in den AGB der Verträge dürfen keine längeren Laufzeiten als ein Jahr vereinbart werden. Eine automatische Verlängerung bei vergessener Vertragskündigung ist dann nur noch um jeweils drei Monate möglich.
Eine weitere geplante Änderung betrifft die Bestätigungslösung: Telefonisch vereinbarte Verträge, zum Beispiel von Energielieferanten, aber auch von Telekommunikations- oder Versicherungsunternehmen, bedürfen künftig der Angebotsbestätigung in Textform durch das Unternehmen und der anschließenden schriftlichen Genehmigung des Verbrauchers, damit der Vertrag gültig ist.
Verlust der Handlungssicherheit für betroffene Branchen
Was sich für Verbraucher vorteilhaft gestaltet, ist für abogetriebene Unternehmen ein empfindlicher Schlag in Hinblick auf die Kundenbindung und Gesamtkundenbasis. Dieses Abo-Modell hat der Telko-, Versicherungs- und Energiebranche in der Vergangenheit einen festen und planbaren Kundenstamm mit Laufzeitverträgen beschert. Bisher waren Kunden für zwei Jahre fest an einen Vertrag gebunden. Für Unternehmen bedeutete das eine gewisse Handlungssicherheit, zumal die Kosten für die Akquise eines Kunden im ersten Jahr kaum wieder eingespielt werden können. Anteilsmäßig liegen die „Schläferkunden“ je nach Branche bei 50 % und teilweise höher.
Was sind die Folgen im Einzelnen?
Durch die Bestätigungslösung wird die Akquise sowie das Cross- und Upselling schwieriger, da mehr nachträgliche „Absagen“ bzw. fehlende Rückmeldungen massiv auf die Conversion Rate drücken werden. Hierdurch sinkt der ROI (Return on Investment) vieler heutiger Maßnahmen, da diese häufig auf Masse ausgelegt sind und sich so nicht mehr rechnen. Mit Modifizierung des BGB ist eine Refinanzierung der Kundengewinnung in der ersten Vertragslaufzeit von nur einem Jahr kaum noch möglich.
Die Verkürzung der Vertragslaufzeit ermöglicht zukünftig deutlich mehr Absprungpunkte für den Kunden. Negative Erfahrungen werden unverzeihlich, da unzufriedene Kunden kurzfristig Verträge kündigen können. Zusätzlich werden Kunden das Vertragsende nicht mehr so häufig verschlafen, bzw. sollten sie es doch tun, fängt die automatische Verlängerung sie nur noch für 3 Monate ein. Die Folge sind sinkende Schläferquoten und dadurch steigende Kündigungseingänge. Das potenzielle Risiko der Kundenabwanderung steigt massiv an. Vergleichsportale wie Check24 erleichtern es Kunden zusätzlich mit wenig Aufwand schnelle Vergleiche zu ziehen.
Darüber hinausgehend steigt der operative Aufwand des Bestandskundenmanagements signifikant: Erstens müssen CRM-Maßnahmen zwangsläufig treffsicherer werden, zweitens müssen dieselben Kunden deutlich häufiger aktiv betreut werden. Dies führt zu einem enormen Effizienz- & Effektivitätsdruck.
Fazit: Die Folge ist eine dramatische Reduktion des gesicherten Kundenwertes (Customer Lifetime Values) sofern Unternehmen nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen.
Customer Relationship Management neu gedacht
Die betroffenen Branchen müssen sich Gedanken über Alternativen zur Kundenbindung während der Vertragslaufzeit machen. Die Etablierung und Umsetzung einer kundenorientierten, datengetriebenen Strategie (Data-Driven Customer Excellence) ist hier essenziell, um frühzeitig Abwanderungstendenzen vorherzusagen und diesen entgegenzuwirken den Kunden über ein positives Kundenerlebnis an das Unternehmen zu binden.
Was sind die Eckpfeiler einer Data-Driven Customer Excellence-Strategie?
Senkung des Churn-Risikos
Ausgangspunkt sind weitreichende Investitionen in die Kundenbindung jenseits der Vertragsbindung durch die Umsetzung einer zielgerichteten Strategie, die die Bedürfnisse des Kunden in den Mittelpunkt stellt (Customer Experience Strategie, CEX). Solange CEX nur ein Lippenbekenntnis ist und bei der Definition von Personas und Customer Journeys aufhört, wird sich kaum etwas ändern: CEX-Abteilungen benötigen die entsprechenden Befugnisse, um nicht als zahnloser Tiger zu verhungern. Dies kann nur passieren, wenn Budget und Kontrolle auch bei CEX allokiert werden bzw. ohne eine Freigabe der CEX-Abteilungen Projekte oder Produkte nicht gelauncht werden dürfen. Ebenso muss ein CEX-Team eigene Ressourcen und eigenes Budget haben, um Themen im Sinne einer Customer Excellence zu verbessern. Abschließend müssen CEX-Ziele definiert und sowohl in den Unternehmenszielen als auch in den Mitarbeiterzielen verankert werden. Genau an diesen Instrumenten fehlt es oftmals.
Erhöhung der Effizienz und Effektivität bei sinkendem ROI
Da der Trigger „Vertragslaufzeit“ weniger gewichtig wird, um den Zeitpunkt einer möglichen Kündigung vorherzusehen, werden datengetriebene (data-driven) Ansätze im CRM in ihrer Relevanz für die Abteilung zunehmen. Die Anbindung und Verfügbarkeit relevanter Daten wird immer wichtiger werden. Hierzu zählen neben den Vertragsinformationen auch strukturierte Informationen über positive und negative Kundenerlebnisse. Kann z.B. ein Telekommunikationsunternehmen genau erfassen, wie häufig, wann und wo bei einem Kunden Netzabbrüche oder Geschwindigkeitsprobleme tatsächlich auftraten, kann der Schmerzpunkt und damit die Abwanderungswahrscheinlichkeit des Kunden viel besser prognostiziert werden. Oftmals tun sich Unternehmen schwer, die vorhandenen Daten und Informationen strukturiert und effizient zur Verfügung zu stellen. Es mangelt an einer echten Datenstrategie, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren festlegt, welche Daten in welcher Form und in welcher Aktualisierungsrate (Echtzeit, Nahezu-Echtzeit, täglich, monatlich, etc.) für welche Applikationen verfügbar gemacht werden. Meist erfolgt dies nur singulär in separaten Projekten, ohne einem ganzheitlichen Plan zu folgen. Dies widerspricht dem Zielbild eines zentralen Data Lake.
Je mehr Daten angebunden sind und je mehr Möglichkeiten die implementierten Kampagnen-Management-Systeme (beispielsweise sas, Adobe, Salesforce etc.) bieten, desto automatisierter, kundenindividueller und kanalübergreifender können Kampagnen ausgespielt werden. Hier sollten neben klassischen, monatlichen Push-Kampagnen vor allem interaktive Systeme etabliert werden. Dazu zählen NBA-/NBO-Systeme an den klassischen Kundenkontaktkanälen wie Hotline, Shop oder in den digitalen Kanälen. Des Weiteren finden immer häufiger auch Trigger-basierte (ereignisbezogene) Marketing-Systeme den Einzug in Unternehmen. Basierend auf Ereignissen (z. B. einer überdurchschnittlichen Rechnung, dem Trigger „Billshock“) wird automatisiert ein kundenindividuelles Angebot ausgespielt (z.B. Zahlung in Raten oder Wechsel in einen passenderen Tarif), bevor der Kunde durch die negative Erfahrung (z.B. Platzen der Lastschrift, Eintritt des Mahnwesens, etc.) über einen Anbieterwechsel nachdenkt.
Verbesserung der Churn Prevention
Letztlich sollten nicht mehr Bauchgefühl und Erfahrungswerte einzelner Personen Angebots-strategien ausdefinieren. Vielmehr werden selbstlernende Algorithmen (Machine Learning auf Basis von Künstlicher Intelligenz) bestimmen, wann welche Kunden welches Angebot mit welchem Preis erhalten sollen. Derzeit wird Machine Learning häufig nur für die Bestimmung der richtigen Zielgruppe eingesetzt. Dabei könnten auch die Preisfindung, die Bestimmung des Zeitpunktes für Vertragsverlängerungen und neue Tarife durch ein selbstlernendes System bestimmt und optimiert werden.
Zusammengefasst:
Abogetriebene Unternehmen, deren Haupteinnahmequelle das Vertragsgeschäft darstellt, müssen sich mit Lösungswegen auseinandersetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die anstehenden Veränderungen bedeuten ein enormes Risiko für den gesamten Kundenbestand, der ohne Gegenmaßnahme zukünftig deutlich schneller schwinden wird als heute. Um auf die geplanten Änderungen zu reagieren, drängt die Zeit. Ende 2019 werden die Gesetzesänderungen gegebenenfalls schon umgesetzt sein.
Stefan Meyer-Spickenagel ist Partner bei Iskander Business Partner und hat zahlreiche Kunden bei der Konzeption und Umsetzung von Data-Driven Customer Excellence Lösungen begleitet.
Philipp Aring ist Berater bei Iskander Business Partner und verantwortet Data-Driven Customer Excellence-Projekte an der Schnittstelle von Fachseite und Analytics.